Es waren wohl an die 300 Menschen, die sich am frühen Samstagabend in der Herz-Jesu-Kirche in der Fehrbelliner Straße trafen, um nach einer Andacht auf einem Erinnerungsweg der Pogromnacht von 1938 zu gedenken.
Der Zug machte an mehreren Stellen Halt, um an das Leben jüdischer Bürger zu erinnern, die der Verfolgung, der Deportation und dem Mord ausgesetzt waren.
So am Haus Christinenstraße 35, wo an die damals drei und fünf Jahre alten Geschwister Ruth und Gitti Süßmann wohnten.
Nachdem ihre Mutter Alice Löwenthal bei der sogenannten Fabrikaktion m Februar 1943 der Verhaftung entkommen konnte, ging sie mit den Kindern in den Untergrund.
Sie zogen von Unterkunft zu Unterkunft und kamen schließlich auf dem Strausberger Wochenendgrundstück der Plätterin Luise Nickel unter. Doch die couragierte Kommunistin wurde denunziert und sie mussten das Versteck verlassen.
Bekannte in Weimar, die die Alice um Hilfe bitten wollte, ließen sich verleugnen Doch dann konnte Alice ihre Töchter bei einer Cousine in unterbringen.
Sie selbst fuhr zurück nach Berlin, um irgendwie für den Lebensunterhalt der Kinder zu sorgen – als Illegale, ohne Papiere, immer selbst in der Gefahr verraten und verhaftet zu werden. So oft es möglich war, schickte sie Lebensmittelkarten und Geld für ihre Kinder nach Weimar.
Dass das Versteck ihrer beiden kleinen Kinder bereits im Sommer 1944 verraten wurde und Ruth und Gitti kurte Zeit später nach Auschwitz deportiert wurden, erfuhr die Mutter erst nach dem Krieg.
Am Kollwitzplatz wurde der Gedenkzug von Musikern der BigBand des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums empfangen. „Mein kleiner grüner Kaktus“ von den Comedian Harmonists erklingt, jenem weltberühmtern Berliner Vokalensemble, das ab Mai 1934 wegen seiner jüdischen Mitglieder mit Auftrittsverbot belegt war.
Dann sprach der Leiter des Museums Pankow Bernt Roder mit der Schauspielerin Nikki van der Zyl.
Ihre Großeltern Leo und Martha Less, besaßen in Weißensee ein Bekleidungsgeschäft.
Nikkis Vater, Werner van der Zyl, war Rabbiner an der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. Hier hielt er am 17. Februar 1938 die letzte Predigt, die im Nazi-Deutschland stattfand.
Im Jahr 1939 konnte die Familie nach England ausreisen. Werner van der Zyl wurde Oberrabbiner an der West London Synagoge und war einer der Gründer des Jewish Theological College of London, das später den Namen „Leo Baeck College“ erhielt. Tochter Nikki wurde Schauspielerin.
Seit Sonntag ist im Museum Pankow eine Ausstellung über den Lebensweg der Familie zu sehen.
Mit einer Andacht vor der Synagoge in der Rykestraße fand der der Gedenkumzug sein Ende. Bezirksbürgermeister Matthias Köhne erinnerte daran, dass Berlin vor Naziherrschaft ein Zentrum jüdischen Lebens in Deutschland war. Anfang der 1930er Jahre lebten hier mehr als 160.000 Juden, zum Ende der Naziherrschaft waren es gerade noch 5.000.
Er freue sich, sagte Matthias Köhne, dass die jüdische Gemeinde in Berlin wieder wachse. Jeder, der zu uns kommen will, sei willkommen.