Die Zerstörung preiswerten Wohnraums im Karree Belforter Straße ist nicht nur Zeugnis der Geldgier des Grundstückseigentümers, sondern auch Beleg politischen Versagens. Die Bezirksverordnetenversammlung wollte der Sache auf den Grund gehen und setzte zur Aufklärung der Vorgänge extra einen Ausschuss ein. Doch der tagt weitgehend geheim.
Im Mai 2011 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow mit der großen Mehrheit von SPD, Linksfraktion und Bündnisgrünen die Erhaltungssatzung für die „Wohn-
anlage Belforter Straße 5-8, Straßburger Straße 33-36, Metzer Straße 35-37″. Damit sollte das Bauensemble ge-
sichert werden, das nach einem vom Bezirksamt in Auftrag gegebenen Gutachten in Prenzlauer Berg einmalig” und daher unbedingt in seiner jetzigen Form erhaltenswert sei.
Zugleich schützte die Verordnung die meist schon seit Jahrzehnten dort wohnenden Mieter vor dem aufwertungs-
wütigen Eigentümer.
Das alles war kein Alleingang der Bezirksverordneten. Das Bezirksamt stand hinter diesem Beschluss, dessen Rechtsamt hatte die Sache als juristisch sicher attestiert und auch die zuständige Senatsverwaltung erteilte ausdrücklich ihre Zustimmung.
Knapp zwei Jahre später, im April 2013, brach in der Pankower Bezirkspolitik Hektik aus. Ausschüsse tagten in Permanenz und unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Krisenberatungen im Bezirksamt folgten streng vertrauliche Mitteilungen an die Fraktionsvorsitzenden.
Was war geschehen?
Immobilieneigner Rainer Bahr hatte mehrere Verfahren gegen die Entscheidung des Bezirks angestrengt, darunter eine Normenkontrollklage beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und eine Schadenersatz- und Feststellungsklage beim Landgericht Berlin – wegen angeblicher Amtspflichtverletzungen bei der Bearbeitung und Zurückstellung seiner Bauvoranfrage für das Belforter Karree. In Rede stand ein Betrag von 15 Millionen Euro als Äquivalent für den entgangenen Gewinn, wie der Tagesspiegel den Unternehmer zitierte.
Panik als Entscheidungsmotor
Am 11. April 2013 – andere Verfahren, wie jenes über die Rechtmäßigkeit der Erhaltungsverordnung, waren noch längst nicht entscheidungsreif – hatte der mit der Schadensersatzsache befasste Landrichter in erklärt, dass er die Entscheidung über die Bauvoranfrage von Bahr für verspätet halte und daher möglicherweise dem Schadensersatz-
begehren in der Sache – nicht in der Höhe! – zustimmen würde.
Eine durchaus gewagte Interpretation der Abläufe, die, wäre sie zur Grundlage eines Urteils gegen den Bezirk geworden, wohl einen guten Berufungsgrund dargestellt hätte.
Doch bei der Bezirkspolitik brach die blanke Panik aus – nicht zuletzt auch deshalb, weil das Rechtsamt, das seinerzeit noch die juristische Unbedenklichkeit attestiert hatte, in seiner Beurteilung des selben Sachverhaltes nun eine 180-Grad-Wende vollzog.
Eigentümer Rainer Bahr wurde daraufhin ein „Vergleich“ offeriert, der ihm all das zusicherte, was er von Anfang haben wollte: Teilabriss, Blockrandbebauung, Tiefgarage. Seine Gegenleistung: Rücknahme auch jener Klagen, deren Ausgang so offen wie Scheunentore waren.
Anfang Juni 2013 befürwortete die BVV mit großer Mehrheit die Aufhebung der Erhaltungsverordnung.
Zugleich wurde die Forderung erhoben, einen „Zeitweiligen Ausschuss“ ins Leben zu rufen, der die Umstände des Desasters aufklären und Empfehlungen für künftiges Handeln erarbeiten soll.
Bemerkenswerte Umstände
Die Umstände, unter denen der Beschluss zur Einsetzung des Sonderausschusses dann auf der BVV-Tagung am 27. August 2013 gefasst wurde, waren bemerkenswert.
Auf der tags zuvor stattgefundenen, äußerst turbulenten nichtöffentlichen Sitzung des Ältestenrates hatte BVV-Vorsteherin Sabine Röhrbein (SPD) den in Vertretung des auf Dienstreise befindlichen Bürgermeisters Matthias Köhne (SPD) anwesenden Stadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen) gebeten, vom Rechtsamt prüfen zu lassen, ob der Bezirksverordnete Michail Nelken – zur Zeit des Erlasses der Erhaltungsverordnung Bezirkstadtrat für Stadtentwicklung – von der Abstimmung über die Einsetzung des Ausschusses wegen Befangenheit auszuschließen sei. Das Rechtsamt lieferte, Nelken durfte an der Abstimmung nicht teilnehmen.
Da die Mehrheit für die Einsetzung eines solchen Aus-schusses nicht in Frage stand, war dies ein rein symbolischer Akt, mit dem offensichtlich die Richtung angezeigt werden sollte, in die der Ausschuss „aufzuklären“ hatte. Dass nun ausgerechnet das Pankower Rechtsamt, das selbst tief in die Causa Belforter Karree involviert war, über die mögliche Befangenheit eines Bezirksverordneten zu befinden hatte, trug alle Insignien eines Treppenwitzes. .
Deutlicher noch wurde Daniela Billig, Pankower Fraktions-
vorsitzende der Bündnisgrünen in einer E-Mail, die sie über einen parteieigenen Verteiler verschickte. Da polterte sie über den Linksfraktionär Nelken, der nach Meinung der Grünen-Politikerin „jahrelang als zuständiger Stadtrat für Stadtentwicklung in Pankow gemeinsame Sache mit den Investoren gemacht hat. Und dafür gibt es Beweise!“
Weiter schrieb sie:
„Nicht umsonst gibt es in Pankow jetzt einen Sonderausschuss, der Vorgänge im Geschäftsbereich Stadtentwicklung aus der Letzten Wahlperiode untersucht. Den Rest könnt Ihr Euch erstmal vorstellen, solange bis wir PankowerInnen Euch über die Ungereimtheiten (ich drücke es jetzt mal neutral aus) informieren, die wir feststellen und beweisen werden.“
Öffentlichkeit musste draußen bleiben
Den „Zeitweiligen Ausschuss zur Erarbeitung von Handlungsempfehlungen (VI-1102, VI-1181, VI-1319, VI-1350) – so seine vollständige Bezeichnung – darf man getrost als Novum in der jüngeren Pankower Bezirksgeschichte bezeichnen.
Bereits die Konstituierung erfolgte unter geradezu konspirativen Umständen. Schon dessen erste Sitzung, auf der unter Leitung der BVV-Vorsteherin lediglich die Wahl des Vorsitzenden, seines Stellvertreters und des Schriftführers auf dem Programm stand (siehe Download unten), fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die ganze Sache schien sogar so geheimhaltungswürdig zu sein, dass selbst von der Veröffentlichung der Namen der Ausschussmitglieder Abstand genommen wurde.
Als die Prenzlberger Stimme Ende vergangenen Jahres die BVV-Vorsteherin nach dem Grund der Geheimniskrämerei befragte, war die Antwort von entwaffnender Schlichtheit: „Weil der Ausschuss es so wollte“.
Tatsächlich ist es – soweit das hier zu überblicken ist – der Bezirksverordnetenversammlung nach den Bestimmungen des Berliner Bezirksverwaltungsgesetzes auch ohne sachlich zwingende Gründe erlaubt, die Öffentlichkeit fernzuhalten, „wenn ein Fünftel der Bezirksverordneten, eine Fraktion oder das Bezirksamt es beantragen.“
Immerhin sagte Sabine Röhrbein bei jenem Telefonat zu, über die Veröffentlichung der Identität der Ausschussmitglieder nachzudenken. Und tatsächlich: Einige Wochen später waren die Namen auf der Bezirksseite nachzulesen.
Die Sitzungen aber blieben vorerst weiter vollständig geheim. Selbst der Bitte doch wenigstens die Tagesordnungspunkte mitzuteilen, um sich von der Notwendigkeit der nichtöffentlichen Behandlung überzeugen zu können, wurde nicht entsprochen.
Stattdessen teilte Auschussvorsitzender Matthias Zarbock der Prenzlberger Stimme mit:
„Auch wenn es ein großes Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses gibt, gilt doch der im Bezirksverwaltungsgesetz beschriebene Handelsrahmen und die Geschäftsordnung der BVV Pankow. Danach sind bestimmte Inhalte nur in nichtöffentlichen Sitzungen zu behandeln
Der Ausschuss hat sich vom Beginn seiner Arbeit an in Einmütigkeit darauf verständigt, dies in der Arbeitsplanung zu beachten. Einvernehmlich erfolgten Festlegungen, die sich darin niederschlugen, dass die ersten Ausschusssitzungen in all ihren Tagesordnungspunkten nicht-öffentlich stattfanden. Ich bin als Ausschussvorsitzender gehalten, diese Festlegungen des Ausschusses umzusetzen. Ich kann Ihnen versichern, dass die Abwägungen darüber über jeden einzelnen Tagesordnungspunkt erfolgten und das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der Öffentlichkeit der Arbeit des Ausschusses dabei angemessene – große – Beachtung fand.“
In Anbetracht dessen, dass es der Ausschuss geboten sah, auch die Wahl seines Vorsitzenden lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, kann man dem Manne einen gewissen Humor nicht absprechen…
Jene Tagesordnungen, die der Prenzlberger Stimme mittlerweile dennoch vorliegen (siehe Download unten) lassen jedenfalls keinen Grund zur Geheimhaltung erkennen. Die nichtöffentlich behandelten Punkte lauteten regelmäßig „Protokollkontrolle“, „Verständigung zu Akteneinsicht und Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen“, „Vorschläge für die nächsten Tagesordnungen des Ausschusses“ und „Sonstiges“
Dennoch will kein Ausschussmitglied auch nur ein sterbenswörtschen darüber verlieren, was in jenem Ausschuss, der ja für Aufklärung und Transparenz sorgen soll, eigentlich vor sich geht.
Knackpunkt Akteneinsicht
Das, was über den Umweg der – ebenfalls nichtöffentlichen – Fraktionssitzungen nach außen dringt, korrespondiert mit den hier vorliegenden dürftigen, immer wieder gleichen Tagesordnungspunkten. Demnach haben die Ausschussmitglieder von der Bezirksverwaltung – zuständig ist wohl auch hier das Rechtsamt – Einsicht in die Prozessakten erbeten. Diese wurde ihnen zwar zugesagt – allerdings mit der Auflage, sich keine Kopien ziehen zu dürfen. Nun ist man einigermaßen ratlos.
Denn bliebe es bei dieser Ansage, müssten die neun Ausschussmitglieder – so sie ernsthafte Recherchen anstellen wollten – nacheinander einige Wochen täglich im Aktenarchiv erscheinen, um die wenigstens vierstellige Seitenanzahl zu sichten und auszuwerten…
Die Tür einen kleinen Spalt geöffnet
Immerhin, bei den vergangenen zwei Sitzungen im März und April waren zumindest bei jeweils einem Tagesordnungspunkt Zuhörer zugelassen. „Planungsrechtliche Grundlagen“ hieß das Thema, erschienen waren einige Mieter aus der betroffenen Wohnanlage, die Aufklärung darüber erhofften, was denn nun schiefgelaufen sei.
So wurden sie unter anderem Zeugen eines Disputs über die rechtliche Bedeutung eines Aufstellungsbeschlusses hat.
Ein solcher wurde vom Bezirksamt in der vorangegangener Legislaturperiode – also unter der Ägide von Bezirksstadtrat Kirchners Vorgänger Dr. Nelken – für das Belforter Karree gefasst und der sah noch eine Blockrandbebauung vor.
Muss sich ein Bauherr, lautete nun die Frage, auf die in einem solchen Beschluss postulierte Ziele verlassen können? Zumal dann, wenn zuvor als Sanierungsziel „Stadtreparatur“ mit eben jener Bebauung ausgegeben wurde?
Stadtrat Jens-Holger Kirchner glaubt, das wäre der Fall.
Nein, sagt dagegen die Hausjuristin des Stadtentwicklungsamtes, verbindlich sei erst der festgesetzte B-Plan, der von der BVV bestätigt werden muss.
Nachfrage aus dem Ausschuss: Dürfen sich Inhalt und Ziele zwischen dem Aufstellungsbeschluss und der B-Plan-Festsetzung ändern? Ja, ist die Antwort, ein Aufstellungsbeschluss entfaltet keine rechtliche Wirkung – und der Bauherr weiß das auch.
So zieht sich das hin, der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen. Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniela Billig sitzt im Ausschuss und schweigt. Die angekündigten „Beweise“, dass der Amtsvorgänger ihres Parteifreundes Jens-Holger Kirchner „jahrelang gemeinsame Sache mit den Investoren gemacht hat“, hatte sie offenbar nicht dabei.
Aber es ist ja noch Zeit. Der Ausschuss soll bis in das Jahr 2016 hinein tagen. Vielleicht findet sich bis dahin ja noch irgendwas für den dann beginnenden Wahlkampf.
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