Wieviel Zeit mittlerweile so ins Land gegangen ist, zeigt sich für den älter gewordenen Zeitgenossen auch daran, dass er zumindest einem Teil seines Publikums Dinge und Begriffe erklären muss, die für ihn einst alltäglich waren.
“HO” zum Beispiel.
Gesprochen “Ha-Oh”, war es das allgegenwärtige Kürzel für die staatliche Handelsorganisation der DDR. Im Jahr 1948 gegründet, gab es in den HO-Geschäften Waren ohne Bezugsmarken zu kaufen, die dafür um einiges teurer waren. Deshalb war in jener Zeit dort – im Gegensatz zu anderen Verkaufseinrichtungen – das Angebot bedeutend größer, als in anderen Verkaufseinrichtungen. Später, nach Abschaffung der Marken betrieb die HO in der DDR unzählige Läden, Kaufhäuser und Kaufhallen.
Die in den Nachkriegsjahren größte Verkaufseinrichtung der HO befand sich im Alexanderhaus am Alexanderplatz, dem einstigen Kaufhaus Jonaß. Hier wurde 1949 die BSG HO Berlin aus der Taufe gehoben.
Die Anfänge als Betriebssportgemeinschaft
BSG stand für „Betriebssportgemeinschaft“.
Nachdem im Dezember 1945 alle bisher existierende Sport-
vereine per Alliierten Kontrollratsbeschluss aufgelöst wurden, gab es in den Monaten danach nur Sportwettkämpfe zwischen locker verbundenen, mehr oder weniger inoffiziellen Sportgemeinschaften.
Nachdem die Ausrichtung von größeren sportlichen Veran-
staltungen in der Sowjetischen Besatzungszone (wie etwa der ersten Ostzonen-Fußballmeisterschaft) von der FDJ organi-
siert wurden, machte sich im Osten der im Oktober 1948 ins Leben gerufene „Deutsche Sportausschuss“ daran, neue Vereinsstrukturen zu schaffen.
Unter dem Motto „Umstellung auf Produktionsbasis“ wurden allerortens Betriebssportgemeinschaften initiiert. So auch im Behrensbau am Alexanderplatz.
Doch da in einer zentralistisch aufgestellten Gesellschaftsord-
nung auch Sportvereine nicht einfach so von allem losgelöst vor sich hin trainieren können, wurden im April 1950 überge-
geordnete Sportvereinigungen gegründet, deren Namen auch sich auch in den Vereinsbezeichnungen wiederzufinden hatten. So führten nun alle BSGs des Druckerei- und Verlagsgewerbes den Zusatz “Rotation” in ihrem Namen, die der Bauindustrie hießen künftig “Aufbau” und auf dem Lande waren die Be-
triebssportgemeinschaften mit dem Zusatz “Traktor” zuhause.
Soweit, so einleuchtend.
Auch dass die Armeesportvereinigung – und damit alle ihr zugehörigen Gliederungen – “Vorwärts” hieß, ist durchaus nachvollziehbar. Warum nun aber die Sportvereinigung der Handels- und Nahrungsgüterwirtschaft mit “Empor” benamst wurde, erschließt sich heute nicht mehr so ganz.
Sportlich allerdings machte der nun BSG Empor HO geheiße-
ne Verein seinem neuen Namen alle Ehre.
1955 inoffizieller Gesamtdeutsche Meister im Boxen
Hatte der Verein bei seiner Gründung so um die 60 Mitglieder, so waren ein Jahr später schon rund 800. Sehr schnell gehörten Empor-Sportler zur Spitze des ostdeutschen Sports.
So waren bei Empor bald die besten Judokas der Stadt zu Hause, unter ihnen die mehrfachen DDR-Meister Helmut Bark und Günter Kästner. Die Ruderer Dieter Fehland, Helmut Glowacz, Wolfgang Schwark, Günter Dahnick wurden im Jahr 1953 Meister im Vierer ohne Steuermann, im Jahr darauf gewann das Empor-Quartett Bronze.
tragen) gelang den Empor sogar ein “Hattrick”.
Ein Höhepunkt in der damals noch jungen Vereinsge-
schichte war 1955 der spektakuläre Wettkampf zwischen der westdeutschen Boxmeister-Mannschaft SV-Neckarsulm und dem ostdeutschen Meister Empor.
In der ausverkauften Werner-Seelenbinder-Halle behielten die Ostberliner mit 11:9 Punkten die Oberhand und konnten sich danach als inoffizieller gesamtdeutscher Boxmeister fühlen.
Kurz danach war für Empor der rasante Aufstieg in den ostdeutschen Spitzensport beendet.
Denn in den bereits in den 1950er Jahren wurden in der DDR Sportclubs gegründet, die als Leistungszentren vor allem die Spitzensportler jener olympischen Disziplinen einsammelten, bei denen sich die DDR-Oberen Erfolge bei internationalen Wettbewerben erhofften.
Empor als Trendsetter
An Bedeutung verlor Empor deshalb aber nicht. Die Schachsportler und Wasserballer spielten in der DDR-Oberliga, die Gewichtheber die Gewichtheber trugen ihre Wettkämpfe in der DDR-Liga aus. Darüber hinaus war Empor im DDR-Sport mehr als einmal “Trendsetter”.
Als beispielsweise auch im Osten das Bodybuilding immer mehr Anhänger fand, wurde Empor zu einem der ersten Anlaufpunkte für diese Art des Kraftsportes.
Wobei: „Bodybuilding“ war englisch und galt damit westlich dekadent. So dekadent wie es beispielsweise auch der „Hot Dog“. Das Würstchen im Brötchen erhielt deshalb die Bezeichnung „Ketwurst“ – und für „Bodybuilding“ erfanden die SED-Sprachreinhalter das Wort “Kulturistik”.
Den „Kulturistikern“ dürfte das ziemlich egal gewesen sein. Emporianer wie Sybilla Lux, Frank Heinemann, Martin Uhlmann, Ralf Gräser, Burklaff Scheibe und Peter Hensel holten DDR-Meistertitel in Serie und 1986 belegte Peter Hensel gar beim Wettkampf Mr. Olympia – einer Art Weltmeisterschaft der Bodybuilder – den 6. Platz.
Ganz vorn war Empor stets bei der Nachwuchsarbeit. Ein Großteil der in besten Zeiten bis zu 4.800 zählenden Mitglieder des Vereins waren Kinder und Jugendliche. Von den 250 DDR-Meistertitel und 400 Berliner Meisterschaften, die Empor im Laufe seiner Geschichte erringen konnte, stammt ein Großteil aus dem Nachwuchsbereich. Darüber hinaus wirkte Empor auch in den Stadtbezirk Prenzlauer Berg hinein – etwa mit der Ausrichtung von Sportfesten oder der Kooperation mit Kindergärten und Schulen.
1990 – Aderlass und Neuanfang
Das Ende der DDR bedeutete auch das Ende der DDR-spezifischen Sportförderung. Die Trägerbetriebe hatten von Stund an kein Geld mehr zur Finanzierung ihrer Sportgemeinschaften oder lösten sich – wie die HO – vollends im Nichts auf. Ganze Bereiche mussten aufgegeben werden, die Mitgliederzahlen sanken rapide – die einst größte BSG von Berlin verlor innerhalb von weniger Monate über siebzig Prozent ihrer Vereinsangehörigen.
Im Juni 1990 wurde mit den verbliebenen 1.290 Sportfreunden der „Sportverein Empor Berlin“ als Rechtsnachfolger der einstigen Betriebssportgemeinschaft gegründet.
ring. Während die alteingesessenen Vereine in den Westbezirken der Stadt über in Jahrzehnten gewachsene Netzwerke verfügten, über die die notwendigen Mittel eingeworben werden konnten, standen die Ostvereine in dieser Hinsicht erstmal ziemlich nackend da. Der eine oder andere fehlende Euro wurde durch das Engagement der zahlreichen ehrenamtlich Tätigen kompen-
siert, doch völlig ersetzen auch sie die fehlenden Mittel nicht. Ein Manko das bis bis heute nachwirkt.
Manche Bereiche konnten auch nach dem Systemwechsel an alte Erfolge anknüpfen. Die Schachspieler zum Beispiel waren bereits DDR-Oberliga vertreten, erklommen dort mehrfach den zweiten Platz und wurden in der letzten Oberliga-Saison 1989/90 sogar DDR-Meister. Im Anschluss daran spielte Empor in der Bundesliga. Schachgrößen wie Wladimir Kramnik und Alexei Schirow saßen für die Prenzlauer Berger am Brett und sind heute bei Empor Ehrenmitglieder.
Ganz groß ist Empors Schachabteilung im Jugendbereich vertreten: Von 2001 bis heute erspielte der Verein dort zwölf Berliner Mannschafts- und 25 Einzeltitel. Doch nicht nur im Wettkampfbereich sind die Prenzlauer Berger Schachspieler aktiv. Seit Jahren kümmern sich die Emporianer um die Schacharbeitsgemeinschaften dreier Schulen im Bezirk.
Fußball: Zur „Wende“ kam die Wende
Für die Fußballer der einstigen BSG Empor HO Berlin musste der Zustand irgendwie frustrierend gewesen sein: Seit den beginnenden 1950er Jahren im Friedrich Ludwig-Jahn-Sportpark zu Hause, konnten sie in unmittelbarer Nachbarschaft großen Fußball erleben. Etwa als der im Hauptstadion beheimatete FC Vorwärts Berlin nicht nur seine sechs Meistertitel erspielte, sondern im Europokal auch Mannschaften wie Benfica Lissabon oder Feyenoord Rotterdam empfing und hernach sogar als Sieger vom Platz ging – und der eigene Verein dagegen nur zwischen Kreis- und Bezirksklasse pendelte. Zwar hatte Empor auch damals schon eine erfolgreiche Fußball-Jugendabteilung, in der unter anderem auch der spätere Nationalspieler Marco Rehmer seine ersten Spiele bestritt – doch im Herrenbereich sah es ziemlich mau aus.
Erst Ende der achtziger Jahre kündigte sich Verbesserung an: 1988 und 1991 stand Empor im Finale des FDGB-Be-zirkspokalfinales und 1989 gelang auch endlich der Aufstieg in die Bezirksliga.
Nachdem die Ostberliner Mannschaften in das Westliga-System integriert wurden, war Empor nun Landesligist. Nach mehreren Anläufen gelang in der Saison 2007/08 sogar der Aufstieg in die Verbandsliga, die hier „Berlin-Liga“ heißt. Bis heute konnte die Klasse gehalten werden – wenn zuweilen auch mit ach und krach.
Die Jugendarbeit im Fußballbereich, die nach der Neugrün-
dung fast zum erliegen gekommen war, ist heute eine Erfolgsgeschichte. Gab es 1993 gerade noch vier Nachwuchsmannschaften, so sind es heute dreiundzwanzig. Das liegt natürlich auch daran, dass Prenzlauer Berg sich zu einem jungen Stadtteil mit überdurchschnittlich vielen Kindern entwickelt hat.
Empor wird 65 – aber Rente ist nicht in Sicht
Derzeit verfügt Empor über neun Abteilungen, in denen nach >Vereinsangaben knapp 2.000 Mitglieder organisiert sind. Gut Knapp die Hälfte von ihnen dürften Kinder und Jugendliche sein. Da, wo die Kids nicht zum Verein kommem, geht Empor zu ihnen hin.
Und so ist man bei Empor vor allem im Prenzlauer Berger Kiez unterwegs.Zum Beispiel mit dem Kita- und Schulprojekt „Bewegen begeistert“, bei dem Empor zusammen mit Fortuna Pankow über 600 Kinder in mehr als 50 Kita- und Schularbeitsge-
meinschaften von lizensierten Trainern betreut.
Ein Höhepunkt für die Kitas ist dann in jedem Jahr die Kita- Fußball-WM. Jeder Kita-Gruppe wird ein Land zugelost, dann werden die entsprechenden Fahnen gebastelt und Trikots bemalt. Danach ziehen die Vier- und Fünfjährigen in den Jahnsportpark und kicken auf den Kleinfeldplätzen um den „WM-Titel“.
Ebenfalls dazu gehören die in den Ferien organisiertene Fußballcamps, an denen auch Nichtmitlieder teilnehmen können.
Für „Bewegen begeistert“ wurden die Organisatoren vom Deutschen Olympischen Sportbund mit dem Silbernen Stern des Sports ausgezeichnet.
Ein weiteres Projekt von Empor war Initiierung eines offenen Fußballangebots für Mädchen mit und ohne Handicap im Sportjugendclub Prenzlauer Berg, und seit Jahr und Tag sind die Respect Gaymes an der Cantianstraße zu Hause.
Anfang Oktober wird Empor nun 65 Jahre alt. Das ist ein Alter, in dem der gemeine Bundesbürger seinen Rentenantrag ausfüllt.
Da es für Sportvereine aber keine Rentenzahlungen gibt, wäre dem Verein zum Geburtstag ein dauerhafter Großsponsor zu wünschen.
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