Ein Haus so wie die Zeiten

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02„In Zehn Jahren ist ja keiner mehr da, der das erlebt hat“, sagt die 81jährige Angelika Svendsen. Deshalb hatte sie sich dafür eigesetzt, dass am Haus Schönhauser Allee 22 eine Gedenktafel gibt, die daran erinnert, dass auch die Bewohner des jüdischen Altersheim der Vernichtung durch die Nazis nicht entgangen waren.

Angelika Svendsen gehört zu jenen, denen diese fern scheinende Zeit noch gegenwärtig ist, weil sie sie erlebt hat. Damals wohnte sie mit ihrer Mutter in der Hufelandstraße. Ihr Vater trennte sich von seiner jüdischen Frau, weil seine Karriere als Opernsänger nicht gefährden wollte. Im Altenheim in der Schönhauser Allee wohnte ihre Tante, auch sie wurde mit dem ersten großen großen „Alterstransport“ erst in das Ghetto Theresienstadt deportiert – und von dort aus in das Vernichtungslager Treblinka. Die Geschichte ihrer Familie hat sie in einem Buch niedergeschrieben Auch das gelbe Haus in der Schönhauser Allee spielt darin ein Rolle, das Haus das in seinen Funktionen wie selten eines die Zeiläufte widerspiegelt.
 

Ein Haus für bedürftige Alte

Gegründet wurde das Altenheim durch den Konfektionsfabrikanten Moritz Manheimer.

Manheimer stammt aus dem Örtchen Gommern bei Magdeburg. Seine älteren Brüder Valentin und David in Berlin die Konfektionsfirma „Gebr. Manheimer“, die vor allem Kundinnen aus der oberen Gesellschaftsschicht belieferte. Nach dem Austritt Valentins aus der Firma rückte Moritz nach, spätestens ab 1866 machten ihn Aufträge der preußischen Armee für Uniformen und Mäntel zu einem sehr reichen Unternehmer, der sich nun auch als Bankier betätigte.

Moritz Manheimer

Moritz Manheimer

Im Jahr 1872 trat er aus der Firma aus und betätigte sich in seiner zweiten Lebenshälfte nur noch als wohltätiger Stifter.
Vor allem in seinem Geburtsort wurde reichlich bedacht: Zahlreiche Schenkungen für Ortsarme, eine Kinderbewahr-
anstalt, ein Siechen-Hospital, die Lungenheilanstalt Vogelsang und ein Altenheim.

Auch in Berlin finanzierte er zahlreiche Wohltätigkeitsprojekte, so zum Beispiel das jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße, ein Lehrlingsheim Pankow und ein das Hospital in der Oranienburger Straße. Um die vierzig Projekte sind von ihm hier begründet worden.

Moritz Mannheimer organisierte dabei seine karitative Arbeit auf recht moderne Art: Er machte Werbung für seine Vorhaben und bat zum Beispiel darum, ihm zum Geburtstag keine Schmuckstücke oder andere Präsente zu schenken, sondern beispielweise ein neues Bett für eines seiner Häuser.

alt1Am 2.Dezember 1880, dem Tag seiner Silberhochzeit mit seiner Frau Bertha entschloss er sich, einen Teil seines Vermögens für den Bau eines zweiten Berliner Altenheims zu stiften.

Er kaufte neben dem wegen Auslastung kurz zuvor geschlossenen Friedhof ein großes Grundstück in der heutigen Schönhauser Allee 22
Unter Leitung von Carl Schwatlo, Professor an der Berliner Bauakademie, entstand hier die „2. Altersversorgungsanstalt der Jüdischen Gemeinde“.
Das Haus wurde am 11. November 1883 in Anwesenheit von Kaiserin Augusta feierlich eröffnet.
Wer fehlte, war das Sponsorenehepaar Manheimer. Sie zogen es vor, an diesem Tag am väterlichen Grab in Gommern dem Allmächtigen dafür zu danken, dass man sich für andere nützlich machen konnte.

Vier Jahre später wurde die erste Erweiterung fertiggestellt, ein zweiter Anbau wurde im April 1892 eingeweiht.

Die Bewohner der neuen Einrichtung mit 30 Zimmern mussten in jedem Fall 60 Jahre alt und jüdischen Glaubens sein sowie seit mindestens fünfzehn Jahren in Berlin leben. Sieben Männer und fünf Frauen waren die ersten Bewohner.

In den ersten Jahrzehnten bot das Altenheim seinen nicht unbedingt wohlhabenden Insassen einen überdurchschnittlichen Komfort, finanziert ausschließlich aus Spenden. Erst 1919 gab die Jüdische Gemeinde eine erste Zuwendung in Höhe von 55.160 Mark.
 

Die Bewohner vernichtet, das Haus geraubt

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30.Januar 1933 begann im Deutschen Reich die systematische Judenverfolgung. Schon im April 1933 rief das NS-Regime den Judenboykott aus („Kauft nicht bei Juden“), zur selben Zeit wurde das Berufsbeamtengesetz, durch das viele Juden ihre Arbeit, und damit ihre materielle Lebensgrundlage verloren.

Im Jahr 1935 folgten die „Nürnberger Gesetze“, mit denen die Juden ihrer Bürgerrechte beraubt wurden, und nach der von den Nazis inszenierten Reichsprogromnacht vom 9. November 1938 wurde eine Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben erlassen, und mit der drei Wochen später verkündeten Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens, nach der Juden ihre Gewerbebetriebe zu verkaufen oder abzuwickeln, ihren Grundbesitz zu veräußern und ihre Wertpapiere bei einer Devisenbank zu hinterlegen hatten, waren ihnen weitere Grundlagen eines normalen Lebens entzogen worden.
Ihre Rentenansprüche wurden aufgehoben, auch Entschädigungen für „arisierten“ Besitz und aufgelöste Betriebe waren äußerst knapp bemessen und wurden sogleich wieder ihrer Verfügung entzogen.
Dementsprechend verschlechterten sich auch die Bedingungen im jüdischen Altersheim. Über 100 Heimbewohner gab es mittlerweile, man war eng zusammengerückt, die Versorgung war prekär.

Akribisch Buch geführt: Transporte in den Tod

Akribisch Buch geführt: Transporte in den Tod

In der zweiten Hälfte des Jahres 1941 wurde von den Nationalsozialisten die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen – die physische Vernichtung aller Juden in ihrem Herrschaftsgebiet. Begonnen wurde damit in Osteuropa, doch schon bald begannen auch die Deportationen im „Alt-Reich“.
Die Tötungsmaschinerie arbeitete hoch bürokratisch mit viel Akten und Papier – und Unterteilungen.
Die betagten Juden wurden in sogenannten „Alterstransporte“ in den Tod gefahren.
Mit dem ersten „Großen Alterstransport“ vom 17. August 1942, bei dem rund 1.000 Menschen deportiert wurden, war das Haus eines der der vielen Sammellager, in denen die Todgeweihten „durchgeschleust“ wurden. 175 Menschen wurden von hier aus zum Anhalter Bahnhof und von dort aus in das Ghetto Theresienstadt verbracht.
Anfang November wurde das einstige Altenheim geräumt. Dass auch nur einer von den Bewohnern überlebt hat, ist nicht überliefert.

Am 29. April 1944 wurde in des Grundbuch die Stadt Berlin als Eigentümer eingetragen.

Genutzt wurde das Haus bis zum Kriegsende von der „Organisation Todt“. Im Kellergeschoss waren von 1942/43 bis Mai 1945 ukrainische Zwangsarbeiterinnen untergebracht, die in den Tiefkellern der Schultheißbrauerei Nachrichtengeräte für die Telefunken AG montierten.
 

Polizeistation mit Zellentrakt und Atombunker

In dem nach Kriegsende leer stehenden, zentral gelegenen Haus am U-Bahnhof Senefelderplatz richtete die im Juli 1945 gegründete Deutsche Volkspolizei eine Inspektion für Prenzlauer Berg ein. Die Umwidmung zu einer Polizeistation brachte zahlreiche Umbauten mit sich.

vp1aEine Waffenkammer wurde eingerichtet, und im Kellertrakt entstanden Fotolabore, Archivräume und acht Einzelzellen. 1971 kam dann ein weiterer, ganz besonderer Kellerbau hinzu: Ein Atombunker.Der bestand aus mehreren Räumen und wurde nach außen hin durch eine massive Tür aus Metall gesichert. Der Bunker verfügt über einen Lüfter, der eine Versorgung mit sauberer Frischluft garantierte. Außerdem war ein großes Notstromaggregat vorhanden. Wäre der Bezirk also durch einen Atomschlag ausgelöscht worden – die Prenzlauer Berger Volkspolizei hätte ihn wohl überlebt und ihren Dienst im pulverisierten Stadtteil fortsetzen können.

Donstration am 7. Oktober 1989 Foto: Merit Schambach

Donstration am 7. Oktober 1989 – Foto: Merit Schambach

Bei den Demonstrationen vom 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin gelangte die VP-Inspektion Prenzlauer Berg zu trauriger Berühmtheit.
Die Anzahl der bei den Protesten festgenommenen war so groß, dass in der in der zentralen „Zuführungstelle“ in der Haftanstalt Rummelsburg schon bald kein Platz mehr vorhanden war.
So wurden die Verhafteten unter anderem in einer Vielzahl von Polizeistationen interniert – so auch auch im Keller der Schönhauser Allee 22 . Was die festgenommenen Demonstranten dort erleben mussten, ist in zahlreichen

Volkspolizisten schützen besetzte Schönhauser 21 vor Naziübergriffen Foto: telegraph

Volkspolizisten schützen besetzte Schönhauser Alle 21 vor Naziübergriffen – Foto: telegraph

Gedächtnisprotokollen niedergeschrieben worden, die die einige Wochen später ins Leben gerufene Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der staatlichen Gewalt vom 7. und 8. Oktober 1989 gesammelt hatte.

Kurz darauf – die sogenannte „Wende“ hatte auch die Sicherheitsorgane erfasst, gab sich die Volkspolizei handzahm und duldete nicht nur die in den Nebenhäusern 20/21 stattgefundene Besetzung, sondern schlossen mit ihnen gar ein „Sicherheitspartnerschaft“ – weil die damals noch recht zahlreich durch Prenzlauer Berg marodierenden Jungnazis mit Vorliebe besetzte Häuser überfielen.

Die gesamtberliner Polizei nutzte das Gebäude noch bis zum Jahr 2000 – danach stand es jahrelang leer.

 

Rückgabe und Verwertung

Bereits in den 1990er Jahren versuchte die Jüdische Gemeinde, das einst von den Nazis geraubte und von der DDR laut Grundbuch in das „Eigentum des Volkes“ überführte Grundstück zurückzuerhalten

Im 1997 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Restitutionsanspruch erst einmal ab. Begründung: Für die Umbauten zu einer Polizeistation seien im Laufe der Jahre 2,4 Millionen Mark investiert worden, weshalb Stadt die Immobilie nun behalten könne.

Gemeint waren wohl Waffenkammer, Gefängniszellen und Atombunker…

Der Traum vom Kulturhaus... (2006)

Der Traum vom Kulturhaus… (2006)

Lediglich eine Entschädigung in Höhe des vierfachen Verkehrswerts von 1935 wurde der Jüdischen Gemeinde zugebilligt. Dagegen wurde Widerspruch eingelegt, doch erst im Jahr 2006 wurde die Entscheidung revidiert und die rechtmäßigen Eigentümer erhielten das Haus zurück.

Im selben Jahr hatte hatte der Musiker und Medienpädagoge Christoph Klemke die Idee, in der Schönhauser Allee ein Kulturhaus etablieren. Klemke betrieb seit 2004 auf der anderen Seite der Schönhauser Allee das „Medienhaus am Senefelderplatz“.
Doch daraus wurde nichts.
Denn der Zeitgeist hatte sich gewandelt. Kultur, einst Aushängeschild von Prenzlauer Berg, hatte der der wirtschaftlichen Verwertung zu weichen. Und so blieb nicht nur der Traum vom Kulturhaus unerfüllt, auch Klemkes „Medienhaus“ musste ein Jahr später weichen: Der Vermieter hatte nach einer Modernisierung Mieten verlangt, die mit Musik nicht zu bezahlen waren.

werbung1Im Jahr 2010 verkaufte die in Geldnot geratene Jüdische Gemeinde das Grundstück Schönhauser Allee 122 an die Primus Immobilien AG, die das Haus entkernte und in die Hülle 16 „Luxus- Eigentumswohnungen“ einpasste. Preislicher Orientierungspunkt: „Deutlich über 3.000 EUR/m²“.

In einer Verkaufsanzeige, in der eine Loftwohnung im Haus für mickrige 650.000 Euro feilgeboten wird, ist zu lesen: „Ein Balkon, der in Richtung eines parkähnlichen Friedhofs mit einem traumhaften Ausblick ins Grüne aufwartet, offenbart pure Entspannung.“

 

Auf dem „parkähnlichen Friedhof“ befindet, nur wenige Schritte vom Haus entfernt, befindet sich das Grab des Stifters. An ruhigen Tagen kann man dort ein leichtes, aber anhaltendes Vibrieren verspüren. Es heißt, es käme von unten aus der Gruft: Moritz Manheimer rotiere da mit Höchstdrehzahl…

 

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(Unter Verwendung von Teilen des Arikels „Zwischen laut und leise“ von Hartmut Seefeld, erschienen in „Vor Ort“/Oktober 2011

 



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